Ich bin Sternenmama
Ich stehe in Unterwäsche vor dem Spiegel und wieder einmal laufen die Tränen. Bin das noch ich? Wer ist die Frau, die mir da im Spiegel entgegen schaut? Eine deutlich veränderte Silhouette. Zwei Schwangerschaften verändern den Körper. Ich schaue zum Bett. Da liegt unser Regenbogenbaby Femke. Unsere zweite Tochter. Ich schaue auf meinen Bauch und bin dankbar, dass dieser kleine Mensch darin für 9 Monate sicher war.
Aber sie ist nicht die Einzige,
die in diesem Bauch heranwachsen durfte. Freya ist nicht hier. Auch sie lebte 9 Monate in diesem Bauch. Aber der scheinbar sichere Ort, war es nicht. In meinem Bauch ist Leben entstanden und herangewachsen. Schon zweimal. Aber Freya ist dort auch gestorben. Und ich glaube, dass ich das meinem Körper niemals so ganz werde verzeihen können.
Ich erinnere mich
an die Stunden, in denen ich bereits wusste, dass Freyas Herz nicht mehr schlägt, aber sie noch bei mir war. Ich konnte mich kaum ansehen. Den Bauch, auf den ich am Tag zuvor noch so stolz gewesen war. Jetzt fühlte er sich an wie ein Grab. Dort lag mein totes Kind. Das Kind, das wir so sehnlichst erwartet hatten. Das Kind, dessen Entbindungstermin in wenigen Tagen hätte sein sollen und das dann sogar zwei Tage davor zur Welt kam. Vier Stunden Geburt. Aber als Freya geboren wurde war es still. Kein Schrei. Statt dessen Tränen und stilles Entsetzen.
Wie konnte das sein?
9 Monate war alles perfekt gewesen. Eine problemlose Schwangerschaft mit einem durchschnittlichen Baby. Und nun lag sie in meinen Armen. Dieses kleine perfekte Baby, das nie das Licht der Welt erblicken durfte. Das kleine Mädchen, dass nie schreien, nie sprechen, nie krabbeln und nie gehen würde. Unsere wunderhübsche Tochter.
Und in mir fuhren die Emotionen Achterbahn. Stolz und Liebe für dieses Kind. Trauer um das Leben, das nun nie gelebt werden würde. Ich hatte es alles schon vor meinem inneren Auge gesehen. Das Baby, das Kleinkind und auch die starke Frau, die aus ihr hätte werden sollen. All das sollte nun nie Wirklichkeit werden. Wie konnte das sein?
All diese Gedanken
schießen mir wieder durch den Kopf und die Tränen in die Augen, als ich meinen Bauch betrachte. Dieser Ort, von dem alle sagen, dass er der sicherste Ort für das Baby ist, bis es geboren wird. Ich fühle mich betrogen von meinem Körper. Er war kein sicherer Ort. Er fühlt sich oft wie ein Fremdkörper an. Schwangerschaftsstreifen und die zusätzlichen Kilos auf den Rippen sind Zeugen von zwei Schwangerschaften.
Und viele sagen immer, sei stolz auf deinen Körper, denn er hat Leben erschaffen. Die zusätzlichen Kilos lassen sich leichter ertragen, weil man weiß warum sie da sind. Dass man sie hat, weil man einen kleinen Menschen im Arm halten darf. Aber genau deswegen ertrage ich es nur sehr schwer. Mein Körper hat nicht nur Leben erschaffen. Er hat es auch verloren.
Mein Körper
Auch wenn ich inzwischen Femke im Arm habe, weiß ich, dass mein Körper sich mit jeder Schwangerschaft noch mehr verändert hat. Ohne Freya wären da weniger Streifen, weniger Fett, weniger Falten der Trauer im Gesicht. Freyas Leben hat meinen Körper verändert. Aber auch ihr Tod hat das. Auch mein Gesicht ist gezeichnet von der Trauer. Die junge, unbekümmert Frau ist weg. Die sorgenvolle, ernste Mutter ist jetzt hier.
Ich sehe in den Spiegel
und möchte am liebsten sofort wieder weg schauen. Ertrage meinen eigenen Anblick nur an guten Tagen. Bin das jetzt wirklich ich? Ich schaue mir alte Fotos von mir an und erkenne mich kaum wieder. War das wirklich mal ich?
Ich bin Sternenmama. Mein Körper ist Zeuge.
4 Comments
Robert Besken
Liebe Rassambla,
fühle Dich bitte einfach mal in den Arm genommen und festgehalten.
Ich denke, ich kann Deine Gefühle nachemfpinden, habe ich doch Selbst 1997 meinen Erstgeborenen Marcel 6 Wochen vor Termin verloren. Auch er starb im Mutterleib. Und ich als Vater stand hilflos und machtlos daneben…
Die Trauer wird Dich Dein Leben lang begleiten und ich muss Dir (leider) sagen, es wird immer wieder Momente, wie jenen, den Du beschreibst, geben.
Doch es wird auch viele, viele schöne, lustige und wertvolle Momente in Deinem Leben geben. Momente in denen Du vor dem Spiegel stehst und zu Dir sagst, dass Du eine tolle Frau bist, eine stolze Frau und eine tolle und stolze Mutter!
Du bist nicht alleine!
In tiefer Verbundenheit
Robert
ACAD-Profy Blog
Wirklich schön geschrieben!
Isabell
Wow. Ein toller Text.
Ja, dieses Nicht-Erkennen ist wirklich ein tagtäglicher Kampf. Da tobt ein Krieg im eigenen Innersten….
rassambla
Danke ❤️